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  • Sebastian Jahnz

10 Thesen zur Parteiarbeit

1) Die Organisationsstrukturen trennen mehr, als dass sie verbinden!

Die Mitgliederzahl spiegelt in keiner Weise die tatsächliche Anzahl der aktiven Mitglieder wieder. Engagement erfolgt fast ausschließlich in den Gremien und wird nur durch eine Hand voll Mitglieder pro Gliederung geleistet.

Zwischen diesen aktiven und der großen Mehrheit der passiven Mitglieder findet kein oder kaum Austausch statt. Grund dafür sind die räumlichen Parteistrukturen. Diese stellen eine (zu) scharfe Trennung zwischen Funktionären, Aktivisten, passiven Mitgliedern und Sympathisanten dar.

2) Die Ortsvereine sind nicht zu klein – sie sind zu groß!

Genau wie die SPD als Ganzes, schrumpfen die Ortsvereine stetig. Ortsvereine sind nur noch in der Theorie die Keimzelle der Volkspartei – von einem vitalen Parteileben kann in den meisten Ortsvereinen nicht mehr die Rede sein. Aber es ist nicht ein Zuwenig an Mitgliedern, unter dem das Engagement leidet, sondern ein Zuviel! Denn

gemeinsames Engagement findet in kleinen Gruppen statt.

Es ist praktisch nicht möglich, in einem Ortsverein mit 100 Mitgliedern eine aktive Gruppe von mehr als 20 Mitgliedern dauerhaft zu mobilisieren. Es braucht daher statt einem aktiven Vorstand mehrere Kleinstgruppen (Zellen mit 2-10 Aktiven), die sich selbstständig organisieren und politische Aktivitäten entwickeln. Dem Vorstand fiele dabei in erster Linie die Koordination zwischen den Zellen und mit dem Unterbezirk/Kreis zu.

3) Ortsvereine machen alles, aber nicht das, was sie sollen!

Ortsvereine sind weitgehend entpolitisiert: Zwar wird über Politik noch geredet und diskutiert; Politik wird im Ortsverein aber – im Sinne der Aufgaben von Parteien als Ausgangspunkt dezidierter Willensbildung – nicht mehr praktiziert. Der weit überwiegende Teil von Aktivitäten in einem Ortsverein hat nichts mit dem zu tun, was dessen eigentliche Aufgabe wäre. Die meisten Aktivitäten im Ortsverein drehen sich letztendlich um Geselligkeit – nicht um Mitgliederrechte.

Das ist aber nicht das Problem. Denn Willensbildung und innerparteiliche Demokratie lassen sich längst anders

realisieren als durch Zusammenkünfte von Mitgliedern in Kneipen und Gemeinderäumen. Das Problem ist, dass die Zuständigkeit der formellen Willensbildung noch immer bei dem Ortsverein verortet ist – während ihre Kernkompetenz in der Organisation von Geselligkeit und Zusammengehörigkeit liegt.

4) Gremien sind keine Think-Tanks – sie sind das Gegenteil davon!

Parteien müssen Ideenfabriken sein. Denn in Parteien kommen all diejenigen zusammen, die sich für Lösungen gesellschaftlicher Probleme interessieren und die nötigen Kenntnisse parlamentarischer und bürokratischer Verfahren mitbringen.

Ein Think-Tank muss aber anders organisiert und geführt werden, als ein Gliederungs-Gremium. Letzteres ist für den Parteialltag zuständig. Es dominieren ‚Aktuelles‘, ‚Berichte‘ und ‚Verschiedenes‘. Gemeinsames Denken und die Entwicklung von (politisch und administrativ tragfähigen) Ideen und Konzepten benötigt ein völlig anderes Setting, eine andere Moderation, eine andere Nachbereitung.

Gremien sollen so bleiben, wie sie sind – denn sie schaffen Legitimation für Führungshandeln. Aber Gremien dürfen nicht das einzige Format sein, das regelmäßig und diszipliniert stattfindet.

5) In der SPD wird zu viel geredet – und zu wenig geschrieben!

Politische Diskussionen in einem anspruchsvollen und relevanten Rahmen – das ist noch immer eines der wesentlichen Angebote, die eine Partei dem Bürger im Allgemeinen und dem Mitglied im Speziellen machen kann. Und nicht selten ist man positiv über das hohe Niveau einer Diskussion überrascht.

Aber was nützt es, wenn solche Diskussionen immer nur situativ sind, ohne für andere – nicht anwesende –

politische Akteure anschlussfähig zu sein? Damit Ideen und Meinungen viral gehen können, müssen sie kommunizierbar sein – das heißt, sie müssen aufgeschrieben werden!

Man stelle sich den Stand der Wissenschaft vor, wenn die großen Entdeckungen nicht zu Papier gebracht, sondern nur lebhaft mit anderen Forscher*innen diskutiert worden wären.

Protokolle und Anträge dürfen nicht die einzige Prosa sein, die in der SPD systematisch zu Papier gebracht werden. Es fehlt an Konzeptpapieren, Kommentaren, Dokumentationen und ähnlichem, dessen Summe den Bestand der Ideen und Meinungen der SPD repräsentiert und kommunizierbar macht.

6) Parteien sind Headhunter – sie müssen sich auch so verhalten!

Die Auswahl des politischen Personals in unseren Parlamenten erfolgt entweder durch Zufall oder durch Hinterzimmerabsprachen. Fraktionen funktionieren aber erst gut, wenn sie die richtigen Mischungen aus unterschiedlichen Fähigkeiten der Mandatsträger haben (inhaltlich arbeitende Personen, Netzwerker, Redner, etc.) Die SPD muss sich verstärkt und professionell um Personalentwicklung kümmern. Statt „Wen müssen wir noch versorgen?“ muss es heißen: Wen können wir noch gebrauchen?“.

Dazu gehört es umgekehrt aber auch, fachlich begründete Absagen bei der Besetzung von Mandaten und Kandidaturen auszusprechen.

Die demokratische Sozialisierung, die politische Professionalisierung und die Auswahl von durchsetzungsfähigem Personal für öffentliche Ämter sind eines der Hauptquellen, aus der Parteien ihre Legitimation und Privilegien schöpfen. Hier gilt es für Parteien einen Ruf zu verlieren.

7) SPD als Mitgliederpartei – im Zweifel kleiner!

Im Gegensatz zu anderen Organisationen ist die Aufgabe von Parteien im Grundgesetz klar definiert: Parteien sollen an der demokratischen Willensbildung mitwirken und müssen dafür selbst auch demokratischen Grundsätzen genügen. Punkt. Nirgendwo steht dort, dass eine Partei seine Mitglieder bespaßen soll – also das Bedürfnis nach Freizeitgestaltung seiner Mitglieder befriedigen soll.

Sei es das Grünkohlessen, die Weihnachtsfeier, dem bürgerkontaktfreien Infostand, oder die Mitglieder nicht mit all zu viel Veränderung zu belasten: Jedes Mal, wenn wir die Ansprüche eines Mitglieds an jene oder ähnliche Arten der Bespaßung erfüllen, verprellen wir gleichzeitig ein Vielfaches an potenziellen Mitgliedern, die den (berechtigten) Anspruch an eine Partei haben, in erster Linie eine Organisation für politische Willensbildung zu sein.

Eine Partei muss ihre politische Aufgabe im Zweifel auch gegen den Willen eines Großteils ihrer erlebnisorientierten Mitgliedschaft durchsetzen. Und dabei auch einen Prozess des politischen Gesundschrumpfens in Kauf nehmen.

8) Die SPD muss sich als Organisation selber ernst nehmen, wenn sie ernst genommen werden will!

Manchmal könnte man meinen, Demokratie bedeutet: Jeder darf immer alles! Grundlegende soziale Verhaltensnormen scheinen im Umgang innerhalb der SPD

außer Kraft gesetzt zu sein: Wertschätzung, Höflichkeit, die Wahrung der Integrität des Gegenübers, ein Mindestmaß an Bescheidenheit und nicht zuletzt Akzeptanz einer anderen Meinung.

Auf die Einhaltung von Regeln, wie sie in allen anderen Lebensbereichen als selbstverständlich vorausgesetzt werden, wird im Organisationsalltag der Politik zu wenig Wert gelegt. Das verschreckt viele Menschen bzw. Mitglieder und übrig bleiben die Lauten, Arroganten, Stänkerer und Belehrenden. Oder wie es ein Genosse auf dem Punkt bringt: „Die Verrückten werden nicht mehr – die Normalen werden weniger!“

Führung heißt auch, die Regeln zur Geltung zu bringen, auf eine gute Atmosphäre zu achten, keine Zeit zu verplempern und einen guten Eindruck bei Außenstehenden zu hinterlassen. Wenn die SPD als Mitgliederpartei nicht nur ihre politischen Aufgaben vernachlässigt, sondern auch die Einhaltung von Verfahrensregeln, zwischenmenschlichen Umgangsformen und den effizienten Umgang mit Zeit, darf sie sich nicht wundern, dass sie die Art von Menschen, die jeder gerne als Nachbarn und Arbeitskollegen hat, immer seltener auch als Genossen vorfindet.

9) Der Preis für Mobilisierung ist Kontrollverlust – und umgekehrt!

Als politische Organisation ist die SPD völlig überkontrolliert! Intransparenz, Herrschaftswissen, Einbahnstraßenkommunikation, Parteitagsregie und Antragskommissionen haben die Mitgliederbasis für die Führung zwar extrem berechenbar gemacht – aber eben auch extrem lethargisch.

Wer mehr Engagement, Innovation und Mobilisierung will, muss dafür einen gewissen Grad an Kontrollverlust in Kauf nehmen. Wo viel passiert, passiert auch manchmal etwas, das einem nicht passt.

Bei dem hohen Maß an Kontrolle, das die Parteiführung über die Parteibasis mittlerweile hat und den damit verbundenen vielfältigen Möglichkeiten, den eigenen Willen gegenüber Mitgliedern und Delegierten durchzusetzen, sollte sie sich ein gewisses Maß an freiwilligem Kontroll- und Machtverzicht durchaus leisten können, wenn der Lohn dafür ein politisch vitaler, gesellschaftlich diversifizierter und kampagnenbereiter Mitgliederkörper ist.

10) Weniger Organisation, mehr Netzwerk!

In Bezug auf sich selbst ist die SPD strukturkonservativ. Organisationsstrukturen sind aber kein Selbstzweckt, sondern bilden lediglich die Infrastruktur für Prozesse, Dynamiken, Flüsse und Beziehungen. Diese sind es, die eine Partei erst ausmachen.

Gliederungen schreiben keine Anträge, Arbeitsgemeinschaften organisieren keine Veranstaltungen, Ortsvereine beteiligen keine Mitglieder – es sind immer Menschen, die dies tun!

In der SPD wird zu viel in organisatorischen Strukturen gedacht – und zu wenig in Prozessen: Eine Partei ist letztlich ein riesiges Netzwerk aus den Beziehungen und der Kommunikation zwischen seinen Mitgliedern.

Ein Denken in Netzwerken bedeutet eine andere Sichtweise auf dieselbe Sache: Selbst-Organisation statt Organigramm; Dezentralität statt Zentralismus; Erreichbarkeit statt Teilung; Bottom-up statt Top-down, Senden statt Empfangen; Transparenz statt Herrschaftswissen, usw.

Die SPD zu erneuern heißt auch, die Mitgliederpartei organisatorisch neu zu denken!

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